Ich spürte Sri Chinmoys Licht in meinem Herzen, von Adesh Widmer
Die erste Erinnerung, die ich von Spiritualität in meinem Leben habe, reicht bis in meine frühe Kindheit zurück. Vor dem Einschlafen auf meinem Bett liegend, brachte ich Gott meine Liebe dar, indem ich in meiner Vorstellung Gott Hunderte von Küssen gab, bis ich letztendlich einschlief. Als ich etwas älter war, typisch für den sich nun entwickelnden Verstand, wollte ich, dass Gott mir Seine Existenz zeige, indem er mich mit einem Blitzschlag treffen sollte. (Natürlich hoffte ich insgeheim, dass dies nicht wirklich eintreffen würde.) Aber mein wirkliches Erwachen schulde ich meinem Vater, der mir Hermann Hesses "Siddhartha" zu lesen gab, als ich 15 war.
Dies ist die Geschichte eines indischen Brahmanenjungens, der sein Heim verlässt, um sich einer Gruppe von Asketen anzuschließen und in der Einöde zu leben. Er trifft auf Buddha, ist jedoch mit dessen Weg nicht zufrieden. Schließlich findet er seinen Guru und verwirklicht Gott. Als ich dieses Buch las, wusste ich, dass mein Leben eine spirituelle Suche sein würde.
Ich las den Koran, die Bibel und Bücher über den Buddhismus – jedoch das mich am meisten faszinierende Buch war die Bhagavad Gita. Dieses Buch las ich wieder und immer wieder. Als ich zwischen 18 und 22 war, versuchte ich zu meditieren und spielte etwas mit okkulten Kräften. Aber, am wichtigsten, ich kam in Berührung mit klassischer indischer Musik.
1976 unternahmen meine Frau Ajita und ich eine fünfwöchige Reise nach Indien, wo wir verschiedene Ashrams aufsuchten, in der Hoffnung, dort unseren Guru zu finden. Wir reisten nach Rishikesh und in den Ramana Maharshi Ashram in Südindien. Unser letzter Aufenthalt führte uns in den Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry. Wir durften den Ashram selbst nicht betreten, uns wurde aber gesagt, wir könnten nach Auroville gehen, was sich etwa sieben Kilometer außerhalb von Pondicherry befindet. Dort schliefen wir in einer Strohhütte, wo die Ratten über das Dach liefen und in der Nacht uns von dort oben beäugten. Am nächsten Tag flohen wir von diesem Ort und reisten zurück nach Delhi, wo ich mich entschied, ein Lehrer zu werden. Ich fühlte in mir eine große Kraft und hatte den inneren Drang, der Menschheit etwas zu geben. In Delhi suchten wir ein Musikgeschäft auf, in dem ich zum ersten Mal eine Sitar in meinen Händen hielt. Das Anfassen und die Schwingung dieses Instrumentes berührten mich tief, und ich entschied mich, dass ich lernen musste, darauf zu spielen.
Ein paar Monate später, zurück in der Schweiz, gab Pandit Ravi Shankar ein Konzert in meiner Heimatstadt. Ich hatte meine erste spirituelle Erfahrung während dieses Konzertes.Als wir gerade die Konzerthalle verließen, trafen wir auf Abarita, einen der ersten Meditationsschüler von Sri Chinmoy in der Schweiz, der vor der Halle Handzettel für einen Meditationskurs verteilte. Ajita und ich besuchten diesen Kurs. Abarita zeigte einen Film, in dem Sri Chinmoy in Samadhi-Trance zu sehen war und sprach über Meditation und indische Kultur. Ich fühlte, dass ich mehr als Abarita über die indische Kultur wüsste, hatte ich Indien doch vor ein paar Monaten selbst besucht, wohingegen Abarita niemals selbst in Indien gewesen war. Auf diese Weise kam mein Stolz zum Vorschein, der mich daran hinderte, Sri Chinmoys Licht zu spüren und wahrzunehmen. Trotzdem gingen wir in das Sri-Chinmoy-Zentrum in Zürich zur Meditation. Dort sahen wir das so genannte Transzendentale Bild, niemand erklärte.jedoch damals irgend etwas, und es gab keine Bücher, nichts. Ich blickte auf das Transzendentale Bild, verstand jedoch seine Bedeutung nicht. Daher wurden wir zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Schüler.
Im Laufe des Jahres 1977 verspürte ich den glühenden Wunsch, einen spirituellen Meister anzunehmen, hatte jedoch nicht die geringste Vorstellung, wie ich dies bewerkstelligen soll. Zur selben Zeit kaufte ich mir meine erste Sitar und empfand eine außergewöhnlich große Freude dabei, mit diesem Instrument zu experimentieren. Ajita und ich entschieden uns dazu, nach Indien zu gehen, um klassische indische Musik zu lernen, mit dem Ziel, Gott durch Musik zu verwirklichen.
Da wir keine Visas für Indien bekamen, entschieden wir uns dafür, nach Sri Lanka zu gehen. Am 4. Dezember 1977 flogen wir nach Sri Lanka, um dort, über den Zeitraum von vier Jahren, indische klassische Musik vom besten Musiker des Landes zu lernen. Zu Beginn war mein Ziel meine Gott-Verwirklichung, jedoch als ich mich mehr und mehr dem Studium und dem Spielen von Musik - für viele Stunden am Tag - wdmete, vergaß ich meine spirituelle Suche.
Nach vier Jahren erkannte ich, dass ich niemals dazu in der Lage sein würde, authentisch indische klassische Musik zu spielen, und dass ich, zurück in Europa, nur das Publikum an der Nase herum führen würde, wenn ich behauptete, ein indischer Musiker zu sein.
Aus diesem Grund beendeten wir unser Musikstudium und starteten ein Programm für soziale Erziehung, um auf die herzerweichende Armut aufmerksam zu machen, der wir sowohl in Sri Lanka, als auch in Indien, begegnet waren. Wir wollten tatsächlich zurück nach Indien gehen, um dort eines Tages ein Waisenhaus zu eröffnen.
Das Programm, welches Ajita und ich begannen, war eine sehr gute Hilfe zur Selbst-Erkenntnis und Selbst-Entdeckung. Mein innerer Drang, hin zu etwas Höherem, war erneut geweckt worden und ich fühlte, dass ich das „Echte“ noch immer nicht in mein Leben integriert hatte.
Mein Stiefbruder hatte bereits etliche Jahre einen Meister, und da ich niemanden sonst kannte und verzweifelt auf der Suche nach einem spirituellen Meister war, schrieb ich diesem Meister, dass ich sein Schüler werden wollte. Auf seinem Weg sind die Ernährungsrichtlinien sehr streng und seine Schüler dürfen weder Fleisch und Fisch, als auch Eier zu sich nehmen.
Da ich bereits viele Jahre Vegetarier war, schien dies für mich kein Problem darzustellen. Jedoch, da ich einer Arbeit nachging und teilweise in einem Heim für benachteiligte Kinder lebte, schrieb ich in meiner Bewerbung, dass wegen meiner Arbeit der vollständige Verzicht auf Eier für mich zu schwierig sein würde. Ich bekam den Bescheid, dass ich nicht akzeptiert werden würde, wenn ich weiterhin Eier esse. Ich war verzweifelt.
Um meine dreijährige Lernzeit auf der Musikschule abzuschließen, wurde von mir gefordert eine Abschlussarbeit zu schreiben. Das Thema dieser Arbeit war Musiktherapie, für die ich eine Tambura, ein indisches Instrument einsetzte. Ich wollte diese Therapie mit einem der Kinder im Heim für benachteiligte Kinder ausprobieren, in dem ich arbeitete. Ich hatte jedoch kein Instrument.
Es war nun 1986, zehn Jahre nachdem ich Abarita vor der Konzerthalle nach Ravi Shankars Konzert getroffen hatte. Ich erinnerte mich, dass Abarita indische Instrumente verkaufte. Deshalb rief ich ihn an und fragte, ob er eine Tambura habe, die er mir verkaufen könnte. Zwischenzeitlich hatte Abarita jedoch eine Tofufabrik eröffnet und hatte mit indischen Instrumenten nichts mehr zu tun. Er gab mir aber eine Telefonnummer von einem Mitarbeiter der Firma Madal Bal, welcher zustimmte, mir eine Tambura zu besorgen. Ich sollte sie mir im Madal Bal Bioladen am Kreuzplatz in Zürich am 2. Januar 1987 abholen.
An diesem Tag, dem 2. Januar, lebten Ajita und ich nach wie vor in Appenzell, etwa 100 Kilometer von Zürich entfernt. Unsere ganze Familie, mit der 2-jährigen Anupama und der sechs Monate alten Bandhavi, reisten mit dem Zug nach Zürich, um dort den Laden am Kreuzplatz aufzusuchen.
In diesem Laden arbeitete Gunthita. Die Tambura stand dort in einer Ecke. Ich nahm das Instrument und versuchte es zu stimmen, war aber irgendwie nicht dazu in der Lage. Ich wunderte mich, was da schief gelaufen sein könnte, da das Stimmen einer Tambura für mich eigentlich kein Problem sein sollte. Aber trotzdem, ich konnte sie einfach nicht stimmen. Ich dachte mir, nun gut, lass es mich auf die indische Weise probieren und dem Ganzen ein bisschen Zeit geben. Deshalb stellte ich sie in die Ecke zurück und schaute mich in dem winzigen Laden ein wenig um.
Dort hingen viele Bilder von Sri Chinmoy, ein Bild jedoch traf mich wie der Blitz. Auf diesem Bild blickte Sri Chinmoy so zufrieden drein, dass ich unverzüglich eifersüchtig wurde. Hier gab es definitiv jemanden, der wirklich sein Ziel erreicht hatte, der Zufriedenheit in Person war. Und ich hatte sie nicht!
Im Hintergrund lief gerade eine Aufnahme von Gunthitas Musikgruppe (zu jener Zeit hieß sie Fountain Light, Quellenlicht). Ich ging zur Tambura zurück, und, tatsächlich, nun war ich in der Lage, sie zu stimmen. Dies war vollkommen in Einklang mit der Musik, die gerade im Hintergrund lief. In diesem Moment wusste ich, dass gerade etwas geschah.
Ich erinnere mich daran, tief in Gunthitas Augen nach etwas Außergewöhnlichem Ausschau zu halten. Sie jedoch blickte mich nur mit offenen, fröhlichen Augen an. Ich erinnere auch, eines der Bücher gekauft zu haben, die dort angeboten wurden. Das wichtigste jedoch war, dass ich Sri Chinmoys Licht in meinem Herzen wie eine winzige Flamme spürte – es war solch ein schönes, warmes und liebliches Gefühl.
Bevor ich den Laden mit der Tambura verließ, fragte ich Gunthita, wie ich Schüler werden könnte. Sie erklärte mir, dass wir dazu Fotos von uns abgeben müssten.
Nachdem ich das Geschäft verlassen hatte, brannte Sri Chinmoys Flamme noch immer in meinem Herzen. Zu Hause angekommen, sandte ich ein Bild von mir zur Firma Madal Bal, und, einen Monat später, bekam ich einen Anruf von Kailash, in dem er mir mitteilte, dass ich als Schüler von Sri Chinmoy akzeptiert worden war.
Adesh Widmer, Zürich