Durch den Eisernen Vorhang zu Sri Chinmoy, Adarini Inkei, Genf

Oft nannte ich meinen Vater "Guru" und meinen Guru "Vater". Lange störte mich, dass mir meine Zunge diese Art von Trick spielte. So nutze ich eines schönen Tages die Gelegenheit in einem guten, entspannten Moment als ich mit meinem Guru, Sri Chinmoy, plauderte, um ihn beiläufig zu fragen, warum mir das eigentlich widerfuhr. Guru antwortete mir einfühlsam: "Das ist ganz normal. Dein Vater brachte dich zu mir, somit war er dein erster Guru."
Das ist der Grund, warum diese Geschichte hauptsächlich davon handelt, wie mein Vater ein Schüler Gurus wurde, und warum ich ihm ewig dankbar sein werde.

Noch lange vor meiner Inkarnation erlebte mein Vater eine ziemlich harte Zeit in Ungarn. Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg an vergiftetem Wasser gestorben. Zu dieser Zeit war mein Vater vier Jahre alt. Doch davor schon hatte sich etwas ziemlich Ungewöhnliches ereignet. Zum Zeitpunkt der Geburt meines Vaters fand mein Opa zu einem Guru und wurde Vegetarier, was ziemlich selten in dieser Zeit war – im Land der Gulaschliebhaber. Mein Vater hielt an dieser Ernährungsweise auf fanatische Art und Weise auch in seinen Waisenhausjahren fest.

Nun machen wir einen Sprung nach vorne zu der Zeit als mein Vater 15 Jahre alt war. In einem kommunistischen Land zu leben, hatte den Vorteil, dass man umsonst Sport machen konnte. Mein Vater trainierte Judo und Gymnastik als außerschulische Aktivität. Eines Tages während der Pause half mein Vater einem Jungen, der von fünf stärkeren Jungs verprügelt wurde. Damals waren Schlägereien unter den Klassenkameraden ziemlich brutal. Nach dieser Prügelei fragten sie sich: "Zu wem gehört eigentlich dieses Ohr?"

Man kann sich vorstellen, dass Kriegszeiten schrecklich gewesen sein müssen. Mein Vater, obwohl er ohne religiösen Hintergrund aufgewachsen ist, machte dem Supreme (dem Höchsten, Gott –Anmerkung des Übersetzers) ein Angebot: Wenn ihm der Supreme bei der Flucht vom Kommunismus helfe, würde er jeden Tag in die Kirche gehen und eine Kerze anzünden.

Von da an begann mein Vater, seine Flucht vorzubereiten. Ein paar unglaubliche Details dazu werde ich nun überspringen und gleich mit dem spannenden Teil der Geschichte fortfahren. Zu dieser Zeit nun war mein Vater 20 Jahre alt und die Ungarische Revolution in den Startlöchern. Der Fluchthelfer wurde direkt vor meinem Vater vom ungarischen Militär gefangen genommen. Mein Vater verirrte sich daraufhin im Wald und lief ziellos, nach einem Ausweg suchend, herum, als plötzlich ein Licht direkt aus seinem Herzen kam, das ihn aus dem Wald führte. Es muss erstaunlich gewesen sein, nichts über Spiritualität zu wissen und im Grunde auf das Einzige zu vertrauen, was auf der Erde in diesem Moment der Verzweiflung erstrahlte.

Nach einigen anderen ziemlich ungewöhnlichen Episoden, bestieg mein Vater mit anderen flüchtenden Ungarn einen Lastwagen. Er hoffte auf die endgültige Überfahrt auf die andere Seite – die „freie Welt“. Als dies geschah, passierte noch etwas Verblüffendes – etwas, das wirklich zeigt, dass, wenn dich der Supreme irgendwo haben will, Er Sein Instrument dafür überall finden wird. Die Geschichte hat sich ungefähr so ereignet. Der LKW, in dem sich mein Vater versteckt hielt, wurde vom ungarischen Militär angehalten, und alle Flüchtigen wurden mit vorgehaltener Waffe außen am Wagen festgehalten, – außer meinem Vater, der der letzte war, der aus dem LKW ausstieg. Er wurde mit einem Gewehr zurückgehalten, das auf ihn gerichtet war. Sein erster Gedanke war, „Das war’s, er wird gleich schießen.“ Aber du glaubst nicht, was dann passierte. Erinnerst du dich an den Jungen, dem mein Vater bei der Schlägerei half, als er etwa 15 Jahre alt war. Genau, ja – er war es! Er erkannte meinen Vater und ließ ihn die Grenze überqueren.

Auf der österreichischen Seite mussten alle Geflüchteten auf die richtigen Papiere und auf ein Aufnahmeland warten. Die erste Wahl meines Vaters war Schweden, aber das Schicksal entschied anders. In dem Büro, das allen im Exil lebenden Ungarn half, war ein Mann, den mein Vater kannte. Er war dafür verantwortlich, Leute in die Schweiz zu vermitteln. So wurde mein Vater innerhalb sehr kurzer Zeit nach Winterthur, einer Schweizer Stadt geschickt. Das war wiederum ein weiteres Wunder, da einige der anderen Geflüchteten lange warten mussten, bis ihnen ein Aufnahmeland zugewiesen wurde.

Wie versprochen wurde das Streben meines Vaters nach Spiritualität wirklich intensiv – beziehungsweise das Versprechen des Supremes, meinen Vater zu Guru zu führen, erfüllte sich im Oktober 1971. In einem Traum voller Gewalt, in dem mein Vater von Pfeilen beschossen wurde, lief mein Vater so schnell wie möglich, um den Pfeilen zu entkommen. Dann tauchte plötzlich eine Ziegelmauer mit einem Bild eines Gesichtes darauf vor ihm auf. Das war nun der Moment als mein Vater den ultimativen Vertrauenssprung machte. Er sprang in das Gesicht und erwachte. Sechs Monate später, im März 1972, erkannte mein Vater auf einem Plakat an einer Mauer in Genf das Gesicht, das er in seinem Traum gesehen hatte. Und das war jener Zeitpunkt als ich im Alter von 7 Jahren eine hingebungsvolle, liebende Schülerin meines geliebten Gurus Sri Chinmoy wurde.

Mein Vater verstarb im September 2003. Während seiner Jahre als Schüler hatte er viele unglaubliche tiefe Erfahrungen, die nur ein Avatar wie unser Guru seinem Schüler offenbaren kann. Als ich einmal durch die Sammlung an Fotos und Gedichten von Guru ging, entdeckte ich das Plakat, das meinen Vater auf einer Genfer Straße "fand". Das Gesicht war kein anderes als das Transzendentale Bild von Sri Chinmoy.
Im März 1972 wurde ein Meditationskurs von einem japanischen Schüler angeboten, der(meiner Recherche nach) in England lebte. Damals musste man, um von Guru angenommen zu werden, einen Brief und ein Foto direkt an Sri Chinmoys Haus schicken. Guru würde dann selbst mit einem Brief antworten.

Und was für ein Glück für meinen Vater! Guru kam tatsächlich im Juni desselben Jahres nach Genf und dann wieder im Sommer 1973. Mein Vater hatte eine Konferenz für Guru organisiert. Meine ganze Familie wartete am Flughafen auf Sri Chinmoy. Dann luden wir unseren geliebten Guru in unsere kleine Wohnung ein, um gemeinsam Tee und einen köstlichen, pinken Kuchen, den meine Mutter extra gebacken hatte, zu essen. Wir hatten Fotos von Guru an den Wänden und für uns, die Kinder, war Guru unser Onkel.

Ich erinnere mich daran, dass Guru unsere Köpfe berührte, meine Schwester, meinen Bruder und mich. Das war mein erster bewusster Segen. Auch wenn ich vordergründig keinen blassen Schimmer hatte, was vor sich ging, liebte ich meinen "Onkel"; er war so wunderbar. Wir machten auch einen schönen Bootsausflug mit Guru. Ich denke, mein erster Selbsthingabe-Moment war, als wir gebeten wurden, uns für ein Foto neben Guru zu setzen. Ich erinnere mich daran, dass ich unter Gurus Arm neben meinen Bruder gequetscht wurde. Ich konnte nicht mal meinen Kopf heben, so fest wurde ich da gehalten. Was für einen Segen ich da bekam! Aber damals fragte ich mich wahrscheinlich, wie ich entkommen könnte. An diesem Abend wollte Guru, dass meine Mutter zur Konferenz kam, weshalb Guru Kailash bat, auf uns aufzupassen. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie wir uns verhielten, und ich hoffe, er hat uns, die kleinen Monster, auch vergessen! Wir machten auch einmal ein Picknick in einem Park, wo ich mich fragte, warum die Leute so weit vom Guru entfernt saßen. Er war ganz alleine unter einem Baum und schrieb. Er sah so schön aus.

So das ist also die Geschichte, wie mein Vater und ich Schüler wurden. Seither gab’s Transformation mit der Schnelligkeit einer Gewehrkugel – auch wenn ich weiß, dass wir zahlreiche Gelegenheiten verpassten, die uns noch viel schneller vorwärts gebracht hätten. Aber unser Guru wird nie aufgeben. Er gibt und gibt und gibt, auch wenn unser Kopf gegen die Wand stößt. Meine Dankbarkeit für meinen geliebten Guru Sri Chinmoy ist für alle Ewigkeit unermesslich.

Adarini und Lazslo, Genf