Sri Chinmoy trat in mein Leben, von Pradeep Hoogakker, Den Haag

Sri Chinmoy trat viel früher in mein Leben ein, als mir bewusst war. Gegenüber der Grundschule, die ich besuchte, war ein Geschäft, das von Schülern Sri Chinmoys betrieben wurde. Vielleicht habe ich sie manchmal beim Abladen einer Palette Ahornsirup oder Tee beobachtet, während ich auf dem Schulgelände Verstecken spielte. Später war meine weiterführende Schule gleich um die Ecke des Sri Chinmoy Meditations-Centers. Das Kongresscenter, wo Sri Chinmoy 1988 ein großes Konzert gab, war auf der anderen Seite der Straße. Aus irgendeinem Grund gefiel es einem Freund und mir manchmal, im Gebäude herumzuschleichen und in einer der Pausen zwischen dem Unterricht durch die Hallen zu wandern. Dann, als ich so 17 Jahre alt war, stellte sich heraus, dass mein neuer Freund, der ungefähr 10 Jahre älter als ich war, ein Schüler von Sri Chinmoy gewesen ist. Er erwähnte es einmal und zeigte mir ein Bild von Sri Chinmoy, aber ich schaute zu wenig genau darauf; dieses ganze Konzept mit einem spirituellen Meister war mir völlig fremd. Dennoch fragte ich weiter, was er genau machte, wenn er meditierte. Aber da mein Freund aufgegeben hatte, Meditation zu auszuüben, war er nicht besonders scharf darauf, es zu erklären, er nannte es "auf eine Kerze starren". Stattdessen machten wir mit dem Laufen weiter. Aber immer war es Sri Chinmoy, der an der Seitenlinie meines Lebens darauf wartete, dass die Zeit reif sein würde, sodass ich die Freude, ihn zu entdecken, selbst haben konnte.

Ich war in meiner Jugend nicht besonders spirituell erzogen worden, außer einem fernen Gefühl, eines Tages einige Zeit in einem Kloster verbringen zu wollen. Ich ging mit meinen Eltern hin und wieder in die Kirche und mochte es wirklich gern. Diese ganze Idee mit der Meditation hat mich zuhause immer wieder beschäftigt, aber erst als Unistudent begann mich das, ernsthaft zu interessieren. Ich studierte damals Geologie und war für meine eigene Norm ziemlich glücklich; aber irgendwie schien sich mir, der wirkliche Sinn des Lebens zu entziehen. Ich war glücklich, aber nicht zufrieden. Mir ging’s gut im Sport und mit meinen Studien, aber das schien nicht eine wirklich reale, andauernde Zufriedenheit zu sein. Nach zwei Jahren Studium beschloss ich, ein halbes Jahr Auszeit zu nehmen und in Australien, Neuseeland und Südostasien auf eigene Faust herumzureisen.

In einem Laden für gebrauchte Bücher in Australien hatte ich eine Erfahrung, die über die Grenzen des täglichen Lebens hinausging, als ich seltsamerweise von einem Buch der Hare Krishna Bewegung angezogen wurde. Das Buch schien aus dem Regal herauszuragen, um mich auf sich aufmerksam zu machen. Jedoch stand ich zu weit weg, um den Titel zu sehen. Die Philosophie war faszinierend, anders als alles andere, das ich je gelesen hatte. Eher kühn sprach es mich trotzdem an. Nachdem ich das Buch beendet hatte, suchte ich mir fürs Weiterlesen einen Titel von der Liste der Vorschläge am Ende des Buches aus und machte mir eine mentale Notiz, mir dieses Buch zu organisieren, sobald ich wieder in Holland wäre. Dann legte ich das Buch zur Seite und dachte nie mehr daran. Aber dieses "Bucherlebnis" wiederholte sich in einem Jugendhotel auf Neuseelands South Island, und genau jenes Buch, das ich gewählt hatte, fiel mir wieder entgegen, noch bevor ich den Titel lesen konnte.

Meine Erfahrungen in Neuseeland bedeuteten in vielfacher Hinsicht ein Erwachen für mich. Ich ging alleine über die verschiedenen Fernwanderwege. Viele Tage in der Natur zu verbringen, fast niemanden zu treffen, war erfrischend und zufriedenstellen auf eine neue Art und Weise. Weit weg von all dem Trubel und den selbst auferlegten Lebensbelastungen im hektischen Amsterdam konnte ich langsam eine neue Sichtweise auf die Dinge gewinnen. Eines Tages war ich auf dem Abel Tasman Weg am nördlichen Ufer von South Island unterwegs und erreichte am Ende des Nachmittags einen wunderschönen Strand. Meilenweit war niemand zu sehen, und ich war fast einen ganzen Tag lang in Stille mit mir. Ich war in einer ruhigen Stimmung, die vom beginnenden Sonnenuntergang genährt wurde - alles in ein warmes goldenes Licht badend, das die Farben der Natur noch zu intensivieren schien. Plötzlich sah ich in Ufernähe einige kleine Delphine. Sie surften auf den Wellen und genossen es. Ich warf meinen großen Rucksack ab und sprang ins Wasser. Aber die Delphine schwammen weg, und enttäuscht begab ich mich wieder zum Strand. Als ich schon halbwegs abgetrocknet war und mich von der Kälte des Wassers aufzuwärmen begann, der Sommer war ja noch nicht angebrochen, kamen die Delfine wieder zurück. Ich gab dem Ganzen eine zweite Chance und kehrte ins Wasser zurück. Diesmal schwammen die Delfine nicht weg. Sie erlaubten mir zwar nicht, sie anzufassen, aber sie waren alle um mich herum kaum einen Meter weg - dabei ihre hellklingenden Lieder singend. Es berührte etwas in mir. Etwas sehr Tiefes. Ich war freudetrunken. Ich spritze wie verrückt herum, versuchte neben den Delfinen herzuschwimmen und eine Freude stieg in mir auf, die mich völlig überwältigte. Das erste Mal in meinem Leben erlebte ich wahre Freude, göttliche Freude. Es war wunderschön und zur gleichen Zeit machte es mich eigentlich mehr darauf aufmerksam, dass es im Leben weit mehr gab, als ich im Moment herausholte.

Ich beendete mein zweimonatiges Reisen und kehrte dann nach Hause zurück. Am zweiten Tag meiner Rückkehr nach Holland wurde ich auf der Straße von einer Frau der Hare-Krishna-Bewegung angesprochen. Ich sprach ein bisschen mit ihr und kaufte das Buch, das sie anbot. Ich nahm an, dass ich dem Hare -Krishna-Weg folgen sollte, den mir das Universum anzubieten schien. Ich las das Buch und schrieb sogar einen Brief an den Swami, der es geschrieben hatte. Ich fürchte, der Brief war ziemlich großspurig. Wahrscheinlich fand der Swami heraus, wer mir das Buch verkauft hatte. Die Frau rief mich nämlich eines Tages an und lud mich ein, mit ihr und ein paar anderen zu ihrem großen Tempel in Belgien zu kommen. Wir würden uns bei ihrem Tempel in Amsterdam treffen und dann zusammen mit dem Auto zu den Ardennen in Belgien fahren.

Ich betrat ihren Tempel in Amsterdam an einem wolkigen Samstagmorgen. Ich sah die Frau, die mich eingeladen hatte, auf dem Boden in der Ecke des Raumes sitzen und Blumen in eine kleine Girlande binden. Die Liebe und Hingabe, mit der sie dies tat, machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Als würde ich in eine Art magischen Spiegel tiefer in mein eigenes Selbst blicken, über die Oberfläche der Dinge hinaus. Ich spürte plötzlich stark, dass auch ich diese Art von Liebe und Hingabe in mir trug; ich musste nur einen Weg finden, um sie auszudrücken. Die Reise nach Belgien war jedoch in jeder Hinsicht ein Desaster, obwohl der Tempel wunderschön war und mich einige Leute wirklich inspirierten. Ich machte einen Fehler nach dem anderen und begann, mich mehr und mehr unwohl zu fühlen. Ich ging mit dem Mädchen herum, da sie die einzige Person war, die ich kannte. Irgendwann setzte ich mich, um mit ihr in einem der Speisesäle Mittag zu essen. Ich hatte jedoch nicht bemerkt, dass der Raum "nur für Frauen" war, und mir wurde in unmissverständlicher Weise von einer älteren Frau gesagt, dass ich da raus müsse. Ein anderes Mal sagte ich laut "Guten Appetit", als alle anderen gerade still geworden waren, um auf ihr Essen zu meditieren. Noch andere solcher Dinge passierten, und schließlich entfloh ich dem Ganzen, um mir mehr Peinlichkeiten zu ersparen, und reiste allein zurück. Ich war ziemlich bedrückt, da ich wusste, dass ich das gefunden hatte, was ich im Leben wollte: ein spirituelles Leben zu führen. Allerdings war dieser Weg nicht dazu bestimmt, meiner zu sein.

Ich beschloss vergleichende Religionswissenschaft an der Universität neben meinem Geologiestudium zu studieren, um meinen Hunger nach spirituellem Wissen zu stillen. Eines Tages lernte ich für eine Prüfung zur christlichen und jüdischen Mythologie und las über eine bestimmte heilige Person, die sehr viele Gebete komponiert hatte – einen für jeden Moment und jede Aktivität des Tages. Unversehens fühlte ich ein sehr starkes Gefühl von innen aufsteigen, und ich bemerkte, dass ich weinte. Ich fühlte eine absolut intensive innere Sehnsucht, auch so zu beten, zu meditieren und die tiefere Bedeutung des Lebens entdecken zu können. Ein paar Wochen danach sah ich an der Fakultät für vergleichende Religionswissenschaften diesen absolut winzig kleinen Handzettel auf einem großen Anschlagbrett zwischen hunderten anderen Flyern über einen Vortrag vom Sri Chinmoy Center.

Ich nahm Anfang 1999 daran teil. Ein freundlicher junger Mann öffnete die Tür für mich an diesem Abend. Alles war nett, aber dann fiel mir etwas Komisches auf: Als wir zu Beginn der Meditationsübungen "Aum" sangen, waren die anderen viel länger in der Lage, den Ton zu halten. Schnell bekam ich heraus, dass all die anderen im Raum, es müssen so sechs oder sieben gewesen sein, irgendwie zur Gruppe gehörten. Ein Mann in der vorderen Reihe sah so streng aus, dass ich dachte, dass das eine Art Prüfung war, da die Frau, die den Kurs leitete, hie und da ein bisschen unsicher wirkte. Es störte mich nicht, denn das, was sie sagte, war schön, und ich fühlte mich sehr wie zu Hause. Wie sich jedoch herausstellte, hatte ich Recht, nämlich damit, dass ich der einzige war, der zum Abend gekommen war, sodass es keinen Fortsetzungskurs zu diesem Abend geben würde. Ich fuhr glücklich im Besitz von Sri Chinmoys Buch "Meditation" und der Telefonnummer der Vortragenden in meinem Notizbuch mit dem Rad nach Hause.
Die Wochen nach dem Vortrag begann ich, alle Abendaktivitäten abzusagen, um nur das Buch über Mediation zu lesen. Die Übungen auszuprobieren fühlte sich ein bisschen seltsam an. Normalerweise würde ich nach einer halben Minute aufgeben und über mich lachen. Monatelang rief ich die Frau an, aber irgendwie gelang es mir nie, an einem Meditationskurs zu einer Zeit teilzunehmen, zu der ich hätte kommen können.

Schließlich wurde ein Meditationskurs in Den Haag angeboten, in jener Stadt, in der ich aufgewachsen bin, und wo meine Eltern immer noch wohnten. Ich beschloss, einmal in der Woche dorthin zu fahren, um an dem Fortsetzungskurs teilzunehmen. Ich kam sehr zeitig an, irgendwo im Zentrum Den Haags. Nachdem ich eine Stunde gewartet hatte, bemerkte ich, dass ich eine falsche Adresse aufgesucht hatte. In diesem Augenblick war ich kurz davor, die Sache hinzuschmeißen. Ich war schon auf dem Heimweg, als diese zarte Stimme in meinem Kopf sagte: "So wirst du in deinem Leben nie auf einen grünen Zweig kommen." Ich hatte die richtige Adresse dabei, aber ich wusste nicht, wo es war. Ich beschloss, meine Mutter von einem Telefonhäuschen aus anzurufen, und bat sie, auf einer Stadtkarte nachzusehen und es mir zu erklären. An diesem Abend kam ich dann eine Stunde zu spät zum Meditationskurs, aber es war für mich wie Zu-Hause-Ankommen. Im Grunde verließ mich dieses Gefühl nie mehr. Nicht nur dass die Meditationstechniken von Sri Chinmoy ein deutliches Gefühl von Glücklichsein unterstützen, sondern mein Leben hat endlich seine Bedeutung im Streben nach Erkenntnis bzw. "Gott-Verwirklichung" gefunden, wie es Sri Chinmoy nennt. Letztendlich schienen alle Teile meines Lebens zusammenzupassen. Ich hatte kein klares Bild in meinem Kopf von der Beziehung zwischen einem Meditationsmeister und seinem Schüler, aber ich war absolut entschlossen, nicht mehr von diesem neuen Horizont abzuweichen, der sich mir eröffnet hatte.

Irgendwie blieb mein Anmeldeformular beim ersten Versuch, um ein Schüler von Sri Chinmoy zu werden, in irgendeinem Briefkasten stecken oder so ähnlich, und es erreichte Sri Chinmoy nicht. Aber ein paar Tage später machte ich eine lebensverändernde Erfahrung. Eines Abends lag ich im Bett, als ich plötzlich eine starke Anwesenheit in meinem Zimmer spürte. Ich fühlte mich nicht besonders schlecht, aber da sollte eigentlich niemand in meinem Zimmer sein. Ich war erschrocken und starr in meinem Bett. Dann trat etwas in meinen Körper ein, und jäh stand meine Welt Kopf. Etwas lief vom Ende meiner Wirbelsäule in meinem Kopf hinauf, und ich hatte eine intuitive Vision von einem riesigen Buch, wie einer mittelalterlichen Bibel. Eine Seite des Buches wurde umgeblättert, und ich war völlig überwältigt von einem allwissenden Gefühl. Es dauerte nur einen kurzen Moment an, aber in diesem Moment verstand ich alles vom Leben und vom Tod. Ich sah das Buch dann auch nicht mehr, ich wurde zum Universum, wurde zum Wissen seiner selbst. Wahrhaftigkeit füllte und erfüllte mich bis an den Rand. Dann, so schnell wie es gekommen war, verschwand alles, und ich war in meinem Bett zurück, immer noch unwissend, was sich eigentlich zugetragen hatte.

Nach dieser Erfahrung wurden meine Meditationen in unerwarteten Sprüngen tiefer und im Oktober 1999 nahm mich Sri Chinmoy formell als sein Student an. An dem Tag, an dem er mich annahm, saß ich im Zug und hatte gerade eine für meine Verhältnisse gute Meditation, als ich einen doppelten Regenbogen mit vorwiegend blauen Farben sah. Ich wusste nun, dass mich Sri Chinmoy angenommen hatte, auch wenn ich es von außen tatsächlich erst zwei Tage später erfuhr.

Wenn dein Herz von echten Tränen erfüllt ist,
erscheint dir dein wahrer Meister. - Sri Chinmoy

Pradeep Hoogakker, Den Haag, Niederlande