Weshalb Sri Chinmoy mein spiritueller Lehrer wurde, von Mahamani Keller

Hat das Leben einen Sinn? Ich fühlte mich leer. Hat das Leben wirklich einen Sinn oder ist mit dem Tod alles vorbei? Gibt es irgend einen tieferen Grund für meine Existenz? Diese und ähnliche Gedanken gingen mir schon seit vielen Jahren im Kopf herum. Und sie machten mir Angst. Ich spürte eine tiefe, innere Unzufriedenheit, ein Vakuum, das auch positive Momente nicht füllen konnten. War das schon alles im Leben gewesen?

Porträt Mahamani

Mit Anfang 20 fiel mir ein Buch über Meditation in die Hände. Was genau war Meditation? So genau wusste ich es nicht, und es erschien mir im Augenblick auch nicht so bedeutsam. Viel wichtiger war, was sie versprach: Zufriedenheit, mich selbst entdecken, und, vor allem - meinem Leben einen Sinn geben, diese quälende innere Leere zu füllen. Aber leider bedeckte der graue Alltag meine anfängliche Begeisterung wieder. Und das, was eigentlich nicht mehr aus der Erinnerung hätte fallen sollen, geriet erneut in Vergessenheit. Bis eines schönen Tages, etwa fünf Monate später... .

Von Meditation und Meistern.

Im Juni 1992 unternahm ich mit einem Freund eine kleine Fahrradtour. Es war ein bisschen anstrengend, denn bald schon fuhren wir eine lang gezogene Brücke hinauf. Doch kurz darauf wurden wir mit einer zügigen Abfahrt belohnt. Wir radelten durch eine kleine, versteckte Seitenstraße. Und hier sah ich es. Eigentlich vollkommen unauffällig, aber zumindest für mich unübersehbar. Ein Plakat mit der Überschrift "Meditieren lernen". Mein Freund drängte bereits zum Weiterfahren, jedoch weckten diese Worte meine Neugier. Außerdem war der Vortrag schon tags darauf. Eine sehr gute Gelegenheit ... .

Einen Tag später im Hinterzimmer eines kleinen Lokals. Es duftete angenehm exotisch. Räucherwerk brannte. Genauso exotisch war die Musik, welche leise im Hintergrund lief. Frisch geschnittene Lilien standen auf einem kleinen Tisch. Auch sie dufteten betörend. Ich war der erste Besucher und wurde von einem sportlich bekleideten, jüngeren Mann freundlich begrüßt. Ich hatte viele Fragen, die ich gleich loswerden wollte. Und so kamen wir ins Gespräch. Langsam füllte sich der Raum, so dass der sportlich bekleidete Herr mit seinem Vortrag über Meditation begann. Es waren sehr persönliche Worte, eigene Erlebnisse, die auf mich überzeugend und authentisch wirkten. Jedoch am meisten war ich von seiner Zuversicht und positiven Ausstrahlung beeindruckt. Und davon, dass Sport für ihn offensichtlich eine große Rolle spielte. Auch mir war vor allem das Laufen sehr wichtig. Ja, das gefiel mir, dieser sportliche Aspekt. Doch mit dem Begriff "Spiritueller Meister" konnte ich kaum etwas anfangen. Jeder meditiert doch für sich alleine, dachte ich bei mir. Was soll da Sinn und Zweck eines solchen Meditationslehrers sein? Trotzdem entschied ich mich für einen Kurs an gleicher Stelle.

Ich bin im Bild.

Der Meditationskurs erstreckte sich über vier Wochen. Ich erfuhr vieles, was irgendwie mit dem Thema Spiritualität und Meditation zu tun hatte. Auch, dass die Gedanken einem das Leben sehr schwer machen können. Dies konnte ich nur mit einem tiefen Seufzer bestätigen. Irgendwann stellte der Kursleiter ein Bild auf den Tisch, welches, wie er es ausdrückte, "Sri Chinmoy in einer sehr hohen Meditation" zeigte. Dieses Bild faszinierte mich. Und schon bei der ersten Übung schien sich das Foto zu bewegen. Konnte das sein? Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Doch auch beim zweiten Hinschauen sah ich ähnliches. Es schien sich um eine Art subtiles gelbes oder weißes Licht zu handeln. Es war beeindruckend.
Trotzdem wollte ich mich diesem Meditationsweg nicht anschließen. Ich empfand alles ein wenig seltsam. Auch die Tatsache, dass ein Passbild erforderlich war. Weshalb ein Passbild? Damit Sri Chinmoy darauf meditieren kann, kam es als Antwort. Das klang mir ein wenig nach Voodoo. Aber andererseits wollte ich auch nicht Nein sagen. Denn die Abende waren sehr schön. Also willigte ich ein, jedoch mit dem Hintergedanken, dass Ganze auf sich beruhen zu lassen. Am letzten Abend gab ich dem Kursleiter deshalb mein Passbild, und wir verabschiedeten uns. Er flog nach New York, dem Wohnsitz Sri Chinmoys, und ich orientierte mich Richtung Studentenjob. Ich war mir sicher, dass wir uns niemals wieder begegnen würden. Dafür war alles zu fremdartig gewesen. Zudem konnte ich schließlich auch alleine meditieren, dachte ich... .

Mein Schlüsselerlebnis.

Anfang August 1992 - ich blätterte in einem Buch Sri Chinmoys. Es ließ mir einfach keine Ruhe. Ich wollte unbedingt etwas Zufriedenheit und Sinn in mein Leben bringen. Meine Gedanken führten wieder einmal ihr wohl bekanntes Eigenleben. Ich blätterte etwas orientierungslos in dem blauen Buch herum. Doch bald schon wurde ich förmlich hinein gesogen. Es war ein wunderschöner Augusttag, und ich saß auf der Veranda. Aber alles um mich herum schien plötzlich nicht mehr zu existieren. Ich saugte jedes Wort auf wie ein Schwamm. Was genau da geschrieben stand war eigentlich gar nicht so wichtig. Es waren diese Gefühle von Freude und Zufriedenheit, von Erfüllung und Sinn, die mich zu folgendem Gedanken drängten: Probier es einmal aus, diesen Yogaweg. Da könntest du etwas finden, was dir gut tut, dich erfüllen könnte, dir etwas Sinn im Leben gibt.

Erste Begegnung mit Sri Chinmoy.

Nur zwei Monate später, Berlin im Oktober 1992. Ein großes Konzert mit Sri Chinmoy war angekündigt, welches in der Deutschlandhalle stattfinden sollte. Ich freute mich auf diese Gelegenheit, ihn einmal von nahem zu sehen. Auch deshalb, weil ich mich mittlerweile für diesen Yogaweg entschieden, und Sri Chinmoy eingewilligt hatte. Ich blickte unserem ersten Zusammentreffen mit einer Art freudigen Anspannung entgegen.
In der Halle angekommen setzte ich mich zusammen mit einem Freund auf eine erhöhte Seitentribüne. Das Licht wurde etwas dämmriger. Es ging also gleich los. Ich schaute in Richtung des hinteren Bühnenbereiches, der von meinem Platz aus gut sichtbar war. Ich beobachtete wie auf einmal eine kleine Tür aufging. Und hier stand Sri Chinmoy. Eigentlich sah er ganz normal aus. Hatte ich mir so einen Meditationmeister vorgestellt? Doch Sri Chinmoy schien tief in sich gekehrt zu sein, denn mit gefalteten Händen, und sehr andächtig, betrat er die Bühne und blickte auf vielleicht 5000 oder 6000 Menschen. Alles war erfüllt von einer großen Ruhe und Stille. Ein unvergessliches Erlebnis, welches mich sehr beeindruckte.

Was Sri Chinmoy in meinem Leben veränderte.

"Ein Leben spirituell zu errichten ist keine leichte Aufgabe.
Ein Leben ohne Spiritualität zu erfüllen, ist eine unmögliche Aufgabe." (Sri Chinmoy)
Etliche Jahre sind seit jenem Ereignis in der Berliner Deutschlandhalle vergangen. Und irgendwie muss ich obigem Zitat aus eigener Erfahrung beipflichten. Doch Spiritualität kann vieles heißen. Auch etwas, was ich über die Jahre hinweg lernte. So zum Beispiel drückte sie sich in den vielen Dingen aus, die ich mit Sri Chinmoy zusammen erlebte. Dinge, die schwer in Worte zu fassen sind. Aber es war vor allem seine Ausstrahlung und die Atmosphäre, welche er stetig auf das Neue um sich herum zu erschaffen schien, was mich so faszinierte. Einige Menschen haben mich gefragt, wie er denn so war, was das eigentlich Besondere an seinem Meditationsweg ist. Er war normal, authentisch. Und zwar auf eine Art und Weise, wie man normaler und authentischer nicht sein könnte.
Und diese Authentizität strahlte aus, auf mich und auf alle anderen, die ihm über die Jahre hinweg begegneten. Weg vom Schein hin zum Sein, wenn ich es auf einen Nenner bringen müsste. Manche äußeren Ziele habe ich mir dadurch erfüllt, wie zum Beispiel mehrere Marathons zu laufen, oder sogar darüber hinaus zu gehen. Und etwas hat sich in meinem Inneren verändert. Was genau kann ich nicht wirklich sagen. Aber vielleicht wurde auch in mir etwas normaler und authentischer, spürte ich des öfteren ein Gefühl von Weite, Erfüllung und Freude. Und festigte sich mehr und mehr der Wille, nicht so schnell aufzugeben, sollten die Umstände auch noch so schwierig sein. Eine Fähigkeit, die sich als sehr, sehr wichtig für mich entpuppte.

Das Erbe Sri Chinmoys.

Am 11. Oktober 2007 hat Sri Chinmoy seinen Körper verlassen. Er war Musiker, Dichter, Literat, Maler, Sportler und vieles mehr. Aber vor allem ging von ihm diese Ruhe und Zufriedenheit, diese Authentizität aus, wie turbulent und schwierig die äußeren Umstände auch sein mochten. Es war ein Glücksfall, ihm zu begegnen, und ihn 15 Jahre meines Leben zu begleiten. Doch trotz seines Todes ist nichts vorbei. Diesbezüglich muss ich zum Beispiel an den 11. Oktober 2007 denken, den Todestag Sri Chinmoys. Ich saß, ohne von seinem Dahinscheiden zu wissen, auf einer Anhöhe und beobachtete die wunderschöne, sich vor mir ausbreitende Herbstlandschaft. Es war warm und sonnig. Ich fühlte große Freude, Freiheit, innere Ruhe und Zufriedenheit. Dieser Zustand hielt für eine ganze Weile an. Erst später erfuhr ich, dass Sri Chinmoy verstorben war.
Sri Chinmoy hat vieles für die Nachwelt hinterlassen. Hierzu zählt auch das bereits erwähnte Bild, welches ihn in einer Art tranceartigem Zustand zeigt, und wodurch ich meine spirituelle Reise ernsthaft begann. Zudem unzählige Lieder, Gedichte, Bücher, Bilder und vieles mehr. Dinge, die, so ist zumindest meine Überzeugung, vielen Menschen Freude, Zufriedenheit, Mut und Lebenssinn geben können. Das einzige Bestreben Sri Chinmoys. Wofür er in einem seiner letzten Gedichte auch die passenden Worte fand:
"Mein physischer Tod ist nicht das Ende meines Lebens -
Ich verkörpere die ewige Reise."

Mahamani Keller