Sri Chinmoy hat mich wesentlich und positiv geformt, von Mag. Artanad Bernhard Köll

Sri Chinmoy - Es war im Jahr 2004, als ich am Ende des ersten Jahres meines Masterstudiums in St. Petersburg war und erfuhr, dass Sri Chinmoy in die Stadt an der Neva kommen würde. Das Meditationszentrum von St. Petersburg organisierte die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Besuch.

Ich erfuhr so etwa eine Woche vor Sri Chinmoys Ankunft, dass einer der geplanten Vorträge des Meisters in der Strasse Uliza Lejtinanta Schmid stattfinden würde. Was für schöner Zufall! Es war genau das Gebäude, in dem ich tagtäglich ein und aus ging, um Russisch zu studieren. Von den vielen hunderttausenden Gebäuden der Sechsmillionenstadt, war es dieses unscheinbare Haus unweit des Nevskij Prospektes indem, ein nach gewöhnlichen Maßstäben unscheinbarer Vortrag, stattfinden würde.
Um ehrlich zu sein, nur vage erinnere ich mich an das Thema des Vortrages, das für mich auch nicht von allzu großer Bedeutung war. Es war die innere Poesie und Präsenz subtilen Lichtes, das diesen Vortrag zu einem Höhepunkt meiner 10 Jahre als Schüler des Meisters werden ließen.

Es war etwa 10 Uhr morgens. Auf den Straßen des Kais war reger Betrieb, es kam ein Auto angefahren, in ihm Sri Chinmoy im indischen Dothi. Er stieg aus. Leicht hinkend ging er die Stufen hinauf zum Eingang und dann weiter drei Stockwerke hoch. Bedächtig, demütig, auf den Schritt konzentriert und immer wieder kurz aufblickend.
In einem kleinen Saal, der nicht mehr als 30 Besucher aufnehmen würde können, sollte der Vortrag beginnen. Ein Vortrag der eigentlich kein Vortrag war, sondern pure Poesie, in Worten und Stimmung. Poetisch war die Haltung, die der Meister einnahm, stehend und mit geschlossenen Augen zitierend, voller Seele war die Stimme.
Wer waren die Zuhörer? Es war die Zeit der Sessii, also Prüfungszeit und Studenten fanden sich fast keine ein, außer ... außer meinen Freunden, die ich eingeladen hatte zu kommen. Wir waren zu dritt, nahmen in der zweiten Reihe unsere Plätze ein.
Wie so oft in der Begegnung mit dem Meister waren es nicht Worte, sondern etwas was jenseits von Worten liegt, das ich an jenem späten Vormittag im verregnetem Petersburg mit einer ganz besonderen Intensität erleben durfte. Eigentlich müsste ich an dieser Stelle aufhören zu schreiben, weil man´s halt nicht beschreiben kann. Ein Kontinuum an Licht wurde da übertragen, ich meine ein erhebendes inneres Gefühl, dass sich wie warmes Licht anfühlt. Sri Chinmoy hielt diesen Vortrag mit geschlossenen Augen. Sein Körper hüstelte gelegentlich und machte den Eindruck eines alternden, kranken Menschen. Sein Geist allerdings war von einer Vision genährt, der einer schöneren, harmonischen Welt, für die er bis zum letzten, wie ein unermüdlicher Kämpfer gerungen hatte.

Ich war natürlich gespannt, wie denn meine Kollegen auf die Begegnung mit dem Meister reagieren würden. Ich meinerseits kannte die Situation ja, es waren schließlich schon einige Jahre, die ich in intensiver Unterweisung des Meisters war. Schließlich war es auch er, der mich ermuntert hatte, nach Russland zu gehen, in einer Zeit in der Russland sicherlich kein leichtes Pflaster war. Es waren immer noch Nachwirkungen der großen Krise vom Ende der 90ziger Jahre zu spüren. Als ich damals Sri Chinmoy geschrieben hatte und fragen ließ, was er denn davon halte, wenn ich nach Russland gehen würde, hat er scherzhaft gemeint, ich sollte doch zuerst ordentlich Englisch lernen. Ich hatte nämlich im Brief einen recht lustigen Rechtschreibfehler gemacht. Meine Freunde nun, die habe ich während dem Vortrag glatt vergessen. Ich war in einer anderen Welt, in einem kleinen privaten Paradies. Ich bemerkte, wie der Meister sie gelegentlich mit einem festen Blick fixierte. Das war seine Art mit Menschen auf innere Art zu kommunizieren, mehr noch als mit Worten, war es ein Übertragen von inneren Informationen, die man erfahren kann, wenn man Menschen ganz in die Augen taucht. Bei Heiligen, sehr reinen Menschen findet eine zutiefst inspirierende Übermittlung statt, wenn sich der Betreffende auch öffnen kann. Hierin liegt auch das Geheimnis, dieser uralten Methode der Weisen Indiens, die ihre Geheimnisse in kraftvoller Stille lehren, im „sich öffnen“ und der Fähigkeit sich diesem Gefühl auch hinzugeben.

Nachher sah ich bei zweien, es war Nigina und Natascha, glänzende veränderte Augen, die mit dem Jenseits in Berührung gekommen sind, bei Dima bemerkte ich nichts. Ich fragte sie nicht, wie es ihnen gefallen hatte.
Nach der Verneigung am Ende schritt der Meister ebenso wie er gekommen war, die Treppe hinunter, in seinem gewohnten Rhythmus, mit einem Bein voran, das andere nachziehend, chronischer Kniebeschwerden wegen.

Ich saß mit meinen Freunden noch in der Stolovaja zusammen, die Wirkung dieses subtilen Lichts, das mich nach wie vor einhüllte, hielt noch eine gewisse Zeit an. Ich hatte kein Bedürfnis zu sprechen, so tief war ich innerlich berührt.
Ich verbrachte dann noch gut ein Jahr in Petersburg und machte einen Master in internationalen Beziehungen. Ich hatte eine Menge Freunde. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen. Russische Freunde sind mehr wie Freunde – es sind Brüder und Schwestern, die alles für dich opfern, wenn es ernst wird. Es waren Freunde, mit denen man an Wochenenden in die Wälder fuhr, um die Nächte an Lagerfeuern zu singen und es waren Freunde, die ich aus dem Sri Chinmoy Meditationszentrum kannte, dem Ort, an dem sich die wohl nettesten Menschen der Welt versammelten. Freundlich, immer für dich da, mit hohen Idealen und sehr spirituell, auch praktisch, keine Menschen, die sich in Wolken verlieren, sondern jene die in der harten russischen Großstadtrealität bestehen und sich der Notwendigkeit bewusst sind, dass man sich auch um seine Seele ein wenig kümmern muss. Niemals sah ich Menschen, die bereit waren sich so intensiv einer Sache hinzugeben, die bereit waren sich für eine Sache selbst aufzugeben. Eine innere Fähigkeit, die rein westliche Gesellschaften kaum noch besitzen.
Ich werde mich noch lange an den alten Volodija erinnern, der mit langem Rauschebart im Zentrum in der letzten Reihe saß und bei minus 30 Grad mit einer dünnen Jacke zur Meditation spazierte. Ein echter Asket. Er war einer von jenen Blokadniki, die die Besetzung Petersburgs durch die Nazis überlebten. Drei Jahre war die Stadt abgeriegelt. Eine Million Menschen verhungerten. Volodija hatte wirklich einen sehr langen Bart, was eigentlich unter Schülern von Sri Chinmoy, die im Bart ein Zeichen von männlichen Ego sahen, nicht so gern gesehen wurde. Es gab sogar eine Beschwerde beim Meister, worauf dieser sagte, dass Vololdija fortgeschrittener sei als das ganze Medititationszentrum zusammen und dass für ihn eben ganz andere Maßstäbe gelten.

Grischa, der Doktor aus Puschkin ist ein echter russischer Bär, mit dem wir nach der Meditation regelmäßig und in großen Mengen Pizzen verspeisten. Grischa wiegt weit über hundert Kilo, hat aber ein ebenso großes Herz und neben seinem eigenen riesigen Körper noch vier Kinder zu versorgen. Wir fuhren immer die gut 20 km aus der Vorstadt mit Puschkin gemeinsam ins Zentrum. Im Auto saßen meist noch Gleb und Natasha aus Pavlosk. Gleb, dessen Vater ein berühmter Bildhauer in Sibirien war, versucht jetzt in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Ein unglaublich netter Kerl, der seit seinem 10. Lebensjahr meditiert. Meditation macht die Menschen nett, wenn sie es richtig machen. Gleb war ein ganz dicker Freund von mir, obwohl um vieles jünger. Außerdem war Gleb ein Liebhaber von Marmeladen, der, ehe man es sich versah, ein paar Gläser Marmelade auslöffeln konnte. Mit einem Wort: ein junger Mann mit gesundem Weltbild und viel Humor. Natascha vom Zentrum zeichnet sich durch unglaubliche Hilfsbereitschaft aus. Ihre Freunde, die nicht meditieren, aber die sie viele Jahre kennen, haben mir mal, als wir unter uns waren, erzählt, wie beeindruckt sie von der positiven Entwicklung Nataschas sind, seit sie Schülerin von Sri Chinmoy geworden war. Natasha ist zu einer blühenden Person geworden, während sich ein anderer Freund von ihnen das Leben genommen hat. Man könnte noch viel von diesem wunderbaren Petersburger Sri Chinmoy Zentrum erzählen und von wunderbaren Menschen, die alle unglaublich individuell sind und gemeinsam nach geistig Höherem streben.

Als ich dann im Herbst des letzten Jahres, schon lange aus Russland zurückgekehrt, vom Ableben Sri Chinmoys erfuhr, war ich sehr traurig, habe aber gleichzeitig verstanden, dass die Vision, die dieser große Weise in die Welt gesetzt hat, das wesentliche ist und nicht der Körper, der sich jetzt verabschiedet. Sri Chinmoy war eine Person, die mich wesentlich und positiv geformt hat. Liebe war nur ein Wort für mich und wurde durch Lehre und Unterweisung dieses Yogi zur einer Realität. Gott war eine starre Theorie, der nach langjähriger Praxis der Meditation Leben eingehaucht wurde. Mein Weltbild wurde erfrischt und eine Art Urvertrauen fühle ich in mir. Von diesem Gefühl zehre ich bis heute.
Ich bin glücklich und wäre Sri Chinmoy noch am Leben, so würde ich ihm meine Dankbarkeit persönlich darbringen für die prägendste Phase meines Lebens. Sri Chinmoy hat mal gesagt, dass Dankbarkeit auf dieser Welt noch nicht geboren worden ist. Oft vergesse auch ich diese Dankbarkeit, die zwar im Verstand da ist, aber als Gefühl nicht so recht auftauchen will. Aber manchmal kommt es hervor, dieses süße Gefühl, wie ein seltener Gast, und dann möchte ich dem Meister tausend Rosen streuen.

Mag. Artanad Bernhard Köll
Politologe, derz. Lehrbeauftragter für Russisch, Universität Innsbruck,
ehem. Schüler von Sri Chinmoy