Ein Schurke weniger in der Welt, von Abhilakshati aus München

Einen Meister zu haben, ist etwas ganz besonderes. Ihn zu finden, ist manchmal gar nicht einfach. Bei mir war es so, dass ich keinen spirituellen Meister gesucht habe, Sri Chinmoy mich aber gefunden hat, zu einem Zeitpunkt, wo mein Leben an einem Wendepunkt stand. Ich hatte aus beruflicher Unzufriedenheit heraus beschlossen, ein Studium zu beginnen. Äußerlich schien alles klar in meinem Leben: sicherer Job, großer Freundeskreis, politisches Engagement, etc., aber innerlich machte sich eine immer größere Unzufriedenheit in mir breit. War das alles, was das Leben zu bieten hatte? Was, wenn ich morgen sterbe? Hatte es dann einen Sinn, dass ich hier war? Besonders diese Frage hat mich sehr beschäftigt. Ich konnte keinen Sinn in diesem "vor sich Hinarbeiten und aufs Wochenende Warten" entdecken und spürte einen Schrei in mir, der da sagte, NEIN, das darf nicht sein, das halte ich nicht aus.

Abhilakshati

Zu diesem Zeitpunk war ich fast 23 und meine Schwester war Schülerin von Sri Chinmoy und beschäftigte sich schon seit einiger Zeit mit spirituellen Dingen. Ich hatte einen beobachtenden Einblick in ihre Aktivitäten und konnte erleben, wie sie sich positiv veränderte. So stand ich auch Sri Chinmoy gegenüber ganz positiv, aber ohne irgendeinen Drang, mich näher damit zu beschäftigen. Als ich entschieden hatte, nach Salzburg zu gehen, meinte meine Schwester immer wieder, dass ich doch auch mal einen Meditationskurs besuchen könnte. Sie erwähnte es so oft, dass sich Widerstand in mir regte und ich beschloss, egal, was ich mache, das mache ich garantiert nicht. Ganz abgesehen davon, dass mir die Meditation nicht so geheuer war und ich viel mehr davon hielt, äußerlich aktiv zu werden, um die Welt zu verändern.

Nun, in Salzburg angekommen, hatte ich einiges an Zeit und begab mich auf die Suche nach interessanten Vorträgen über Yoga oder Spiritualität. Mittlerweile hatte ich auch zwei sehr gute Bücher gelesen, "Einweihung" von Elisabeth Haich und die "Autobiographie eines Yogi" von Yogananda, die in mir schon den Wunsch geweckt hatten, mal über den Tellerrand hinaus zu sehen. In Yoganandas Buch ist außerdem sehr schön beschrieben, wie ein Meister seine Schüler findet, eine Information, die für mich sehr wichtig werden sollte.
Nachdem ich einige Poster gelesen hatte, entschied ich mich für eines mit 3 Bildern von den Meistern Sri Ramana Maharshi, Sri Aurobindo und Sri Chinmoy. Der Vortrag faszinierte mich von Anfang an und ich fühlte mich wohl in der Energie, die ausgestrahlt wurde. Seltsam fand ich nur, dass es nur Bücher und Kassetten von Sri Chinmoy zu kaufen gab. Das hat mich etwas befremdet, aber da Sri Chinmoy bei mir positiv besetzt war – schließlich wusste ich alles über diesen Weg, da meine Schwester mir alles erzählt hatte – habe ich es nicht weiter beachtet. Interessanterweise kam mir nicht in den Sinn, dass dieser Vortrag etwas mit ihm zu tun haben könnte, und das obwohl ich die Gabe habe, sehr schnell Schlüsse zu ziehen und Zusammenhänge zu erkennen – nicht in diesem Fall. Umso überraschter war ich, als meine Schwester mir, nachdem ich ihr von dem Vortrag erzählt hatte, eröffnete, dass ich im Sri-Chinmoy-Zentrum gelandet war.

Da ich wusste, dass der Meister den Schüler holt, wenn die Zeit gekommen war und mir sofort klar war, was er hier für ein kleines Spiel mit meinem Verstand gespielt hatte, entschied ich mich noch an diesem Tag, diesem Ruf des Meisters zu folgen. Für mich war klar, dass er einfach eine Instanz war, die viel besser wusste, was für mein Leben gut ist und so konnte ich mich gut darauf einlassen, obwohl ich weder einen Bezug zu Meditation noch zu ihm als Person hatte. Das habe ich mir erst über die Jahre aufgebaut, und das war gar nicht so einfach für mich. Ich bewunderte viele andere, die einen inneren Drang nach dem Göttlichen hatten und sehr viel spüren durften. Ich wusste einfach nur, das ist mein Weg, aber gespürt habe ich erst einmal gar nichts. Kein Wunder, denn ich fand nach einigen Jahren heraus, dass ich mich mein ganzes Leben von meinen Gefühlen abgeschnitten hatte. Mit der Meditation fand ich nun einen Weg heraus aus dieser "Dumpfheit" und zwar ganz sanft, Schritt für Schritt, in meinem Tempo.

Ich wurde durch die Meditation zu einem viel lebendigeren Menschen, habe mehr Gefühle gezeigt und auch negative Emotionen. Das wäre früher in der Form undenkbar gewesen – ich das liebe, bescheidene, allseits gern gesehene – aber oberflächliche – Mädchen. Durch die Meditation eröffnete sich mir eine neue Welt zu einem neuen Wesen, dem Wesen, das ich wirklich bin. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, aber es tat mir gut und es tut mir immer noch gut, denn ich bin auch nach fast 20 Jahren Meditation jeden Tag dabei, mir selbst ein Stück näher zu kommen und zu entdecken, was alles noch in mir steckt.
Hatte ich früher gedacht, dass ich ruhig, sachlich, bedacht, schüchtern und still bin, so weiß ich heute: Ich bin lebendig, sprudelnd, vorlaut, spritzig und sehr selbstbewusst. Ich kann mich besser nehmen, in meinen Schattenseiten ebenso wie in meinen Stärken. Die Veränderungen in mir selbst waren über die letzten Jahre gravierend. Und das Erstaunliche war, dass ich am Anfang dachte, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin, da ich so große Probleme mit dem Meditieren an sich hatte. Ich konnte mich nicht gut konzentrieren und jede lange Übung war mir zu viel. Trotzdem habe ich mich jeden Tag aufs Neue hingesetzt und ich habe nach einem halben Jahr halbherzigen Übens die ersten Erfolge gesehen – ganz konkret konnte ich mich an keinen Wutausbruch mehr erinnern und derer gab es vorher doch einige. Das hat mich ermutigt, die Regelmäßigkeit zu halten. Und es hat sich wirklich gelohnt. Mittlerweile habe ich durchaus die eine oder andere intensive Meditationserfahrung gemacht, aber nach wie vor ist es so, dass stille Meditation für mich eine Herausforderung ist.
Daher bin ich auch sehr froh, dass es noch viele andere Aktivitäten auf meinem spirituellen Weg gibt und vor allem dass ich schnell Zugang zu Sri Chinmoys Musik gefunden habe. Ich hatte das Glück in Salzburg unter lauter guten Musikern viel zu lernen, hatte Freude an der großen Auswahl der Lieder, die Sri Chinmoy komponierte, und habe dies genutzt um einen Zugang zur Stille zu finden. Sehr früh habe ich mir dann ein Xylophon gekauft und im Jahr 1994 habe ich eine eigene Musikgruppe gegründet, Silence-Hearts. Wir geben immer wieder Konzerte und sind in den vielen Jahren von Catania bis Oslo gereist, um in kostenlosen Konzerten Sri Chinmoys Lieder zu spielen. Für mich ist das eine wunderbare Form der Kommunikation. Vor allem in Ländern, in denen wir nicht die gleiche Sprache sprechen, können wir über die Musik einen Zugang zum Herzen der Menschen finden und wer sich ihr öffnet wird so wie wir mit verzaubert. Gute Meditationsmusik ist ein sehr einfacher Zugang zum eigenen Selbst und ich liebe es, Menschen diesen Zugang zu eröffnen, einfach indem ich singe und musiziere – ohne große Kommentare oder Erklärungen.

Durch die Musik bin auch ich mir immer näher gekommen. Sri Chinmoy empfiehlt spirituelle Musik gleich nach der stillen Meditation. Und so habe ich von Anfang an viel gesungen und mir auf diese Weise Zugang zu meiner inneren Welt verschafft.
Außer der Tatsache, dass ich authentischer wurde, wurde ich auch stabiler. Ich habe die Zufriedenheit in meinem Leben erlangt, die ich immer gesucht habe, da mein Leben einen tiefen Sinn erhalten hat. Äußere Aktivität ist für mich nach wie vor wichtig, aber ich habe gelernt, mich zu sammeln und aus einer inneren Ruhe heraus zu handeln, statt immer nur mit dem Kopf durch die Wand etwas erreichen zu wollen. Was sich radikal verändert hat, ist meine Vorstellung vom "Ändern der Welt". Ich wollte schon als Kind immer viel bewegen und habe einen sehr unerschütterlichen Idealismus und Glauben an das Gute. Früher waren es eher verzweifelte Versuche irgendwas besser zu machen. Heute verbessere ich mich selbst jeden Tag ein wenig mehr und sehe, wie die Welt um mich herum besser wird. Sri Chinmoy sagt es so schön, dass wir dafür sorgen können, dass es einen Schurken weniger in der Welt gibt, ganz einfach nur dadurch, dass wir an uns selbst arbeiten und stets über uns selbst hinauswachsen. Ich kann nur bestätigen, dass es so ist und dass es sich lohnt, das zu tun. Auch wenn es nicht immer einfach ist. Manchmal ist es gar nicht so lustig, mit seinen Schatten konfrontiert zu werden. Und es ist weiß Gott nicht so, dass die Schatten sofort verschwinden, nur weil man ein/zwei oder 20 Jahre täglich meditiert. Aber ich habe über die Jahre auch gelernt mit diesen Dingen umzugehen, bin weniger streng mit mir und versuche mich selbst so zu nehmen wie ich bin. Faszinierend finde ich, dass ich dadurch auch andere besser annehmen kann und es mich viel weniger als früher stört, wenn jemand etwas macht, was ich nicht verstehe oder nachvollziehen kann. Die berühmte Gelassenheit stellt sich doch irgendwann ein – so war es auch bei mir. Das heißt allerdings nicht, dass ich immer ganz cool über allen Dingen stehe und stets ruhig und gelassen bin – weiß Gott nicht. Es gibt ganz klare Verbesserungen in meinem Leben, aber es gibt auch noch sehr viel zu tun. Das möchte ich betonen, da ich glaube, dass viele Menschen glauben, wenn man lange Jahre meditiert ist man schon fast erleuchtet oder ein halber Heiliger. Ich fühle mich nicht so, und ich lebe an sich ein ganz normales Leben, halt mit spirituellen Disziplinen und dem Versuch in allem, was ich tue, bewusst zu sein und bewusster zu werden.

Was ich an meinem spirituellen Leben auch sehr spannend finde, ist, dass es mir die Türen zu Welten geöffnet hat, die ich wahrscheinlich nie betreten hätte. Sri Chinmoy empfiehlt das tägliche Laufen als Ergänzung zur Meditation und das habe ich von Anfang an ernst genommen. Und das, obwohl ich nie besonders viel Freude am Sport hatte. Das kam vor allem daher, dass ich den Leistungsdruck in der Schule nicht mochte und weder schnell noch gelenkig war. Außer im Tanz und Ballspiel war ich nirgends gut und so habe ich früher keine sportliche Betätigung aktiv gesucht. Was mir bei meinem Meister gefiel, war vor allem der Gedanke, dass es nicht darum geht, besser als jemand anderes zu sein, sondern nur darum, über sich selbst hinauszuwachsen. Das war ein Ansatz, der mir den Druck nahm supergut sein zu müssen. Also habe ich auch mit dem Laufen begonnen.
Als ich hörte, dass Sri Chinmoy gerne möchte, dass jeder seiner Schüler einmal in seinem Leben einen Marathon zu laufen versucht, war mir klar, dass ich das auch tun werde. Ich konnte aber kaum Langstrecken laufen, da ich zu große Probleme mit meinen Knien hatte. Daher bin ich bei Langstrecken auf das Walken umgestiegen und habe 1996 den New York City Marathon im Walken geschafft. Eine Erfahrung, die mich an meine Grenzen brachte, aber die mir unvergesslich blieb und mich anspornte mehr zu machen. Ich habe dann angefangen bei 12-Stunden-Rennen mitzumachen und weiß noch gut, dass ich nach meinem ersten gesagt habe: "Wenn ich in meinem Leben alle meine Probleme über das Gehen oder Laufen lösen kann, dann will ich das tun".

Nun, ich bin nach wie vor keine Sportskanone, aber ich laufe oder walke fast täglich. Ich brauche das als Ausgleich zu meiner Arbeit, da ich viel sitze und genieße die Bewegung an der frischen Luft, egal bei welchem Wetter. Ich merke, dass ich damit den Kopf frei bekomme und dadurch leistungsfähiger bin. Mittlerweile habe ich mehrere Marathons und 12-Stunden-Läufe gemacht und zwei 24-Stunden-Läufe. Jeder Lauf war eine einzigartige Erfahrung. Mal geht es darum aufzugeben und zu lernen, dass man den Körper nicht überfordern darf. Ein anders Mal kämpft man gegen Müdigkeit oder Frustration und es geht darum durchzuhalten. Für mich sind besonders lange Läufe eine sehr gute Gelegenheit, mich selbst zu erfahren, meine Grenzen zu sprengen und für den Alltag daraus zu lernen, dass nichts unmöglich ist. Natürlich ist es für den Körper manchmal eine etwas schmerzhafte Erfahrung: Knieprobleme, schmerzende Hüften, Blasen oder brennende Fußsohlen sind kein Spaß. Aber, wenn man es schafft, im richtigen Spirit zu laufen oder zu gehen, dann merkt man, dass es im Leben um wichtigere Dinge geht als ständig dem Körper Beachtung zu schenken. Das heißt natürlich nicht, dass man es übertreiben soll, und man sollte möglichst früh gegen aufkommende Wehwehchen etwas tun, damit es nicht zu Verletzungen kommt. So habe auch ich einige Rennen vernünftigerweise abgebrochen, wenn es einfach nicht mehr ging oder ich Gefahr lief, etwas "kaputt" zu machen. Das war oft gar nicht so einfach und stellte mich vor die mentale Herausforderung des "ich bin gescheitert, weil ich aufgebe". Aber manchmal ist gerade das Aufgeben können der größere Sieg. Vor allem, wenn man so wie ich dazu neigt, auf Biegen und Brechen alles durchziehen zu wollen, was man sich vorgenommen hat. Mittlerweile habe ich da ein gesundes Mittelmaß gefunden zwischen Vernunft und immer wieder mehr versuchen wollen.

Insgesamt ist mein Leben sehr reich geworden, seit ich mich für Sri Chinmoys spirituellen Weg entschieden habe. Zwischendrin habe ich immer wieder Phasen, wo ich einfach nur dankbar und demütig mein Leben anschaue und auf das Glück und die Zufriedenheit, die es mir durch die Meditation und durch die Führung meines Meisters gebracht hat. Ich weiß ganz genau, dass ich alleine heute nicht so weit wäre, und dass es für mich genau das Richtige war, mich Sri Chinmoy als Schülerin anzuvertrauen.

Abhilakshati, München
18. Oktober 2009