Und dann ging sozusagen die Post ab, von Sushuti Siffert aus Wien

Mein Lehrer und Meister Sri Chinmoy gab mir den Namen Sushuti. Ich gehe seit nunmehr zwanzig Jahren den von Sri Chinmoy ins Leben gerufenen "Weg der Liebe, Ergebenheit und Selbsthingabe" und bin heute 41 Jahre alt.
Anfangs habe ich eigentlich gar nicht gesucht. Der Sucher war mehr Mananyu, mein Mann, den ich mit 16 Jahren kennen gelernt habe und der bis heute mein Partner ist. Aber gesucht oder nicht gesucht, gefunden habe ich das, was ich um nichts in der Welt mehr aufgeben möchte:

Sushuti Siffert

Den Zugang in mein eigenes, tief verborgenes Inneres, den Blick und die Ausrichtung auf etwas Höheres und die unglaublich kostbare, unbezahlbare Gelegenheit, von einer gottverwirklichten Seele geführt und begleitet zu werden, und zwar – sofern meine eigene Empfänglichkeit es zulässt, nicht nur in diesem Leben, sondern auch in all meinen zukünftigen Leben bis hin zur Gottverwirklichung (auch wenn diese noch Tausende von Jahren auf sich warten ließe). Und noch dazu sind wir (die Schüler Sri Chinmoys) eine große Familie, in der einer den anderen kennt und in der zum Teil sehr tiefe und erfüllende Freundschaften geschlossen werden, die einem die heilenden Gefühle des Geborgenseins, der Vertrautheit und des zu-Hause-seins vermitteln.

Die Begleitumstände wie ich Schülerin meines Meisters wurde sind meiner Ansicht nach nicht so aufregend, dass sie jemanden interessieren könnten, aber einen Traum, den ich zu jener Zeit hatte, finde ich doch erwähnenswert:

Ich träumte, dass ich zu meditieren versuchte. Ich saß im Schneidersitz auf dem Boden und hielt meinen Kopf tief gesenkt, so dass mein Kinn meinen Brustkorb berührte. Ich bemühte mich redlich und war mit der Beschaffenheit meiner Meditation auch recht zufrieden. Aber dann fühlte ich mich veranlasst, den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Da sah ich vor mir in einiger Entfernung meinen Meister stehen. Er trug einen Dhoti (traditionelle indische Männerbekleidung), hielt die Hände zum Gebet gefaltet und richtete seinen Blick direkt auf mich. Und dann ging sozusagen die Post ab.....Die Meditation, die mein Meister mir dann ermöglichte, war tausend zu eins zu meiner vorherigen alleinigen Meditation. Ich erfuhr zugleich eine Tiefe und Höhe, von der ich vorher nicht einmal eine Ahnung hatte. Außerdem war eine große und alldurchdringende Intensität spürbar, die mich noch im Traum selbst erkennen ließ, warum es sich immer lohnen wird, einen Meister anzunehmen. Als mein Meister dann die Meditation beendete und mich mit einem Lächeln entließ, schweifte mein Blick ein wenig umher, und ich sah, dass viele, sehr viele Menschen um mich herum saßen, viele in der gleichen Position, in der ich anfangs dagesessen habe, den Kopf gesenkt. Aber einige hatten ihn auch schon erhoben und blickten nach vor zu ihrem, zu unserem Meister.

Einige Zeit später erfuhr ich, dass dieser Traum just zu der Zeit stattgefunden hat, als Sri Chinmoy mich als seine Schülerin angenommen hat. Zu diesem Zweck meditiert er auf ein Foto der oder des Betreffenden und stellt in der inneren Welt einen Kontakt zur Seele her. So vermag er zu erkennen, ob wir für seinen Weg bestimmt sind oder nicht.

Das spirituelle Leben stellt für mich das wahre Abenteuer dar, das von vielen Menschen immer noch im äußeren Leben und in immer risikofreudigeren Unternehmungen gesucht wird. Jeden Tag gilt es aufs Neue, sich der Unwissenheit zu stellen und gegen sie anzutreten; allein sie zu erkennen, ist eine große Herausforderung. Oft kommt sie in betörend schöner oder unschuldig netter Verkleidung daher. Aber das Leben ist nicht nur in schwarz und weiß gemalt. Es bietet viele Schattierungen und nur ein zielgerichteter und gereinigter Geist vermag immer zwischen Licht und Dunkel zu unterscheiden. Jeden Tag, jede Stunde und jede Minute geschehen sowohl in unserem inneren als auch äußeren Leben Dinge, deren wir uns nicht bewusst sind, die aber dennoch großen Einfluss auf unser weiteres Leben haben können. Das spirituelle Leben verhilft uns zu der Fähigkeit, Bewusstsein zu entwickeln. Es hilft uns, Licht in unser eigenes Wesen zu bringen, das durch uns auf unser Leben und auf alle Menschen und Situationen, mit denen wir in Berührung kommen, scheint. Dieses Licht wirkt auf wundersame, unerklärliche, göttliche Weise. Wir erhalten das Licht, indem wir ein diszipliniertes, spirituelles Leben der Meditation und des Gebetes führen.

Das spirituelle Leben bietet mir alles, was ich zu einem erfüllten Leben brauche:

Es bietet mir die Fähigkeit, mein Leben so anzunehmen wie es ist – mit all seinen Schwächen und Stärken. Gott offenbart sich in jedem Menschen auf Seine eigene Weise. Diese Tatsache bringt die so wunderbare Vielfalt und Mannigfaltigkeit ans Licht und zugleich vereint sie die Menschen untereinander und die Menschen mit der Schöpfung.

Es bietet mir die Möglichkeit, meine Natur zu transformieren. Wir Menschen sind halb wie die Tiere und halb göttlich. Ein spiritueller Mensch erhält die Gelegenheit, bewusst an der Umwandlung seiner niederen Natur zu arbeiten, und so – letzten Endes – seine Seele wieder auf ihrem angestammten Thron Platz nehmen zu lassen. Das spirituelle Leben hilft mir, den Einflüsterungen der Seele zu lauschen, und das Gebrüll des Vitalen und das Geschrei des Verstandes als gefährliche Irreführungen zu erkennen.

Das spirituelle Leben nährt meine Gefühle. Es schenkt mir unendlichen Reichtum an Liebe, Freude und Mitgefühl. Mit der durch die Spiritualität wachsenden Aufrichtigkeit lerne ich, zwischen emotionalen und göttlichen Gefühlen zu unterscheiden. Mit der ebenfalls durch die Spiritualität wachsenden Willenskraft lerne ich, die niederen Gefühle aufzudecken und abzulegen, und die höheren Gefühle zu nähren und auszudrücken. Unser innerer Reichtum ist grenzenlos.

Das spirituelle Leben lehrt mich, vor nichts und niemandem Angst zu haben. Angst wirkt wie ein Magnet auf die negativen Kräfte. Mit Mut und Entschlossenheit betrachte ich das Ding, den Menschen oder die Situation, vor denen ich Angst empfinde und beobachte, was weiter geschieht. Oft löst sich die Angst sofort auf, da sie im Verstand verankert war und mit der Realität an sich nichts zu tun gehabt hat. Es gibt viele Arten der Angst, aber die Spiritualität ist die einzige Antwort darauf.
Die Angst vor dem Tod. Die weisen Schriften lehren uns, dass die Seele unsterblich ist. Was vergeht, ist der Körper. Das spirituelle Leben lehrt mich die Identifikation mit meiner Seele. Je länger ich in meiner Seele verweilen und mein Leben in ihren Dienst stellen kann, desto reiner und erfüllender wird dieses Leben. Ein klares und von Gott erfülltes Leben hat am Ende nichts zu bereuen, es hat nichts zu fürchten und kann friedvoll von dieser Welt in die andere eingehen.

Das spirituelle Leben schenkt mir die Kraft der Dankbarkeit. So wie es Magnete für negative Kräfte gibt, gibt es auch welche für positive. Dankbarkeit ist das mächtigste unter ihnen. Wahre Dankbarkeit verwandelt dich augenblicklich in eine Königin oder einen König. Sobald ich Dankbarkeit empfinde, mangelt es mir an nichts, denn die innere Welt schüttet ihren gesamten Reichtum für mich aus, den ich meiner eigenen Bereitschaft entsprechend aufnehmen kann.

Die Möglichkeiten, sich sowohl innerlich als auch äußerlich weiterzuentwickeln, sind auf Sri Chinmoys Weg der Liebe, Ergebenheit und Selbsthingabe schier grenzenlos. Es gibt nicht nur Gebet und Meditation, sondern es gibt auch wunderbare Projekte (Sportveranstaltungen, Theateraufführungen, Musikgruppen etc.) die neben ihrem eigentlichen Daseinszweck jedem Beteiligten auch noch die phantastische Gelegenheit der Selbsteinbringung und Selbstentfaltung bieten. Auf Sri Chinmoys Weg konnte ich erkennen, dass jeder von uns ein unglaubliches Potenzial besitzt. Die meisten nutzen es nur sehr wenig. Ich hatte gemeinsam mit den anderen Schülern Sri Chinmoys das unfassbare Glück, von ihm quasi ständig ermuntert und aufgefordert worden zu sein, unser Potenzial aufzuspüren, es auszuloten und es schließlich auch auszudrücken. Ich habe begonnen, mich selbst kennen und lieben zu lernen (ein unaufhörlicher Prozess!) und meinem höheren Selbst Ausdruck zu verleihen. Mein Leben hat nicht nur einen Sinn bekommen, sondern erfährt auch dauerhafte Befriedigung.

Der wahre Schatz, den es zu suchen und finden gibt, liegt in mir bzw. in dir selbst verborgen, nirgendwo sonst.

Sushuti Siffert
Wien, 16.03.09