Ein herzlicher und rücksichtsvoller Lehrer, von Stalina, Sibirien

Ich wurde in eine einfache Arbeiterfamilie hinein geboren. In ihrer Jugend war meine Mutter eine glühende Komsomolzin, ein Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation in der UDSSR, und mein Vater war ein Mitglied der Kommunistischen Partei. Religion wurde sowohl von der Familie als auch vom Staat abgelehnt. Wir wurden nicht dazu ermutigt, in die Kirche zu gehen; dies konnte sogar zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. In der Bibliothek gab es keine spirituellen Bücher. Aus bloßer Neugierde schaute ich ein paar Mal in die Kirche hinein, nur um zu sehen, wie es im Inneren aussah. Je älter ich aber wurde, desto mehr beschäftigte ich mich mit der Frage: "Weshalb lebe ich? Was ist der Sinn meines Lebens?" Zu jener Zeit sagte die Gesellschaft, dass der Sinn des Lebens daraus bestünde einen Baum zu pflanzen, einen Brunnen auszuheben, ein Haus zu bauen, Kinder groß zu ziehen. Ich war damit keineswegs zufrieden – einverstanden, man tut dies, aber was kommt danach?
Vielleicht bereitete mich deshalb der Supreme, das höchste Göttliche, auf die dringende Notwendigkeit eines Lehrers in meinem Leben vor. Ab 1991 nahm ich an Kursen über berührungsfreie Massage und Astrologie teil, in denen ich ein wenig über die innere Welt erfuhr. Bald schon luden mich die Frauen, bei denen ich Kurse in Astrologie nahm, zu einem Vortrag ein. Der Raum war überfüllt; es kamen über 400 Menschen. Der Gesang des Vortragenden, sein Lachen, alles war beeindruckend. Das Wichtigste jedoch war, dass sich die Grundidee dieses Vortrages mit meinen eigenen Überzeugungen deckte – das wir geboren wurden, um glücklich zu sein! Der Vortragende regte uns dazu an, im Hier und Jetzt glücklich zu sein. Als er uns jedoch dazu einlud, ein Bewerbungsformular auszufüllen, um Schüler seines spirituellen Lehrers Sri Chinmoy zu werden, welches er dann an Sri Chinmoy in Amerika schicken würde, machte mir die Möglichkeit Sorgen, dass dieses Formular für üble Zwecke missbraucht werden könnte. Und wie sollte man dann erklären, kein Spion zu sein? Heute klingt dies amüsant, jedoch damals war so etwas Wirklichkeit.
Am dritten Tag zeigte uns der Kursleiter einen Film, in dem Sri Chinmoy in der Natur meditierte. Am Ende des Videos segnete Sri Chinmoy einige Frauen, und, während Sri Chinmoy eine von ihnen segnete, spürte ich deutlich, dass ich es war, die von Sri Chinmoy gesegnet wurde. Es war ein erstaunliches Gefühl – dieses hatte ich noch nie zuvor gehabt. Mich nach vorne drängend, gelangte ich zum Kursleiter, erzählte ihm was ich erfahren hatte und fragte ihn, ob dies wirklich wahr sein konnte. "Sicher", antwortete er. Somit fielen alle Befürchtungen von mir ab und ich füllte den Bewerbungsbogen aus, hatte jedoch kein Foto von mir dabei. Ich versprach, es am nächsten Tag zum Flughafen zu bringen.
Am Abend wurde ich erneut Opfer des Zweifels: was tat ich? Jene Nacht hatte ich einen Traum. Ich befand mich in einem wunderschönen Haus, mit vielen Räumen voller Menschen. Ich ging nach draußen, wo ich Sri Chinmoys Angesicht, sich über den ganzen Himmel erstreckend, erblickte – das gleiche Angesicht, welches auf dem Foto war, welches uns der Kursleiter gegeben hatte. Am Morgen wachte ich erfüllt von Frieden, Zuversicht und Freude auf. Die Antwort war erteilt worden! Ich gab mein Foto ab, und, innerhalb der nächsten 20 Tage, hatte Sri Chinmoy bereits auf unsere Bewerbungsschreiben meditiert und ich war seine Schülerin geworden. Siebzehn Jahre sind vergangen. Sie waren voller seelenerfüllender Erfahrungen und auch voller Schwierigkeiten. Ich fühle jedoch immer noch so viel Begeisterung, wenn ich an meine erste Erfahrung denke. Jetzt weiß ich, weshalb ich lebe. Ich habe solch einen herzlichen und rücksichtsvollen Lehrer, Meister, der mich durch mein ganzes Leben geleitet. Ich bin glücklich!

Stalina, Sibirien, Russland